Von Alexandra Bandl.
Im Namen der Leipziger Initiative Mündigkeit durch Bildung möchten wir den zwei Todesopfern des gestrigen Terroranschlags in Halle gedenken. Die 40-jährige Jana L. galt als begnadete Autogrammsammlerin und der 20 Jahre alte Kevin S. gehörte zu der Fanszene des HFC. Wir trauern um zwei Menschen, die gewaltsam aus ihrem Leben gerissen wurden und sind in Gedanken bei ihren Angehörigen. Wir möchten den Familien und Freunden der Opfer unser Beileid aussprechen und wünschen den Verletzten eine schnelle Genesung.
Die gut gemeinten Betroffenheitsbekundungen und Appelle an Toleranz und ein friedliches Miteinander reichen jedoch nicht aus, sie erscheinen geradezu zynisch angesichts der Häufung antisemitischer Anschläge, allein in den letzten Tagen. Die Berliner Staatsanwaltschaft versagte letzte Woche auf ganzer Linie, indem sie einen syrischen Terroristen, der mit einer 30 cm langen Klinge in die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße eindringen wollte aus „mangelnden Haftgründen“ viel zu schnell wieder freiließ. Das Manifest des Todesschützen von Halle kursierte laut Daily Mail bereits seit einer Woche im Internet. Aufnahmen zeigen, dass Stephan B. die Zeit hatte, seelenruhig seine Munition nachzuladen, eine Frau zu erschießen und sich das nächste Ziel auszusuchen und die Polizei ließ viel zu lange auf sich warten. Wie kann es sein, dass die Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag über keinen ausreichenden Polizeischutz verfügte?! Der Täter hatte bereits in der Vergangenheit die Shoah geleugnet und Waffenkäufe im Internet getätigt. Die deutschen Sicherheitsbehörden wissen um islamische Gefährder, sie wissen, dass Rechtsradikale seit Jahren Waffen horten, sie wissen, dass Antisemitismus in allen politischen Lagern immer offener ausgelebt wird. Stephan B. beging eine Tat, für die er bejubelt und verehrt wird und der Vernichtungswunsch ist dem Antisemitismus immanent. Er wird nicht der letzte bleiben, der seine Gesinnung in Taten umsetzt.
Die Behörden versagen auf voller Linie: Der mangelnde politische Wille, die vorhandenen Mittel und Befugnisse des Rechtsstaates auszuschöpfen, ist unerträglich. Wenn Juden in Deutschland angegriffen werfen, sind die Strafen nicht der Rede wert. Auf unterlassene Hilfe folgt die verlogene Selbstvergewisserung nach dem Mantra „Bunt statt Braun“ und der dazugehörige Betroffenheitskitsch. Doch was erwarte ich von einer Gesellschaft, in der die einzige Lektion aus Auschwitz „Nie wieder Krieg“ ist. Vor 71 Jahren beschämte die Staatsgründung Israels die zum Schutz der Juden unfähige und unwillige Weltgemeinschaft und die bewaffnete jüdische Staatsgewalt ist und bleibt bis heute der einzige wirksame Schutz gegen Antisemitismus, wie die Hamburger Studienbibliothek 2018 treffend schrieb. Das uneingeschränkte Recht auf Selbstverteidigung sollte nicht nur für Israel, sondern auch jüdische Einrichtungen und Einzelpersonen gelten. Der gestrige Anschlag war keineswegs unvorstellbar. Die unvorstellbare Barbarei ereignete sich in Auschwitz unter deutscher Federführung und die Möglichkeit, dass sich Auschwitz wiederholt, besteht fort – wie uns die Anschläge der letzten Tage verdeutlichen. Solange antisemitische Täter sich darin bestärkt sehen, da sich ihnen niemand in den Weg stellt und die Konsequenz im schlimmsten Fall eine Lichterkette ist, werden weitere Anschläge folgen.
Ich schließe den Redebeitrag mit ein paar persönlichen Worten. Als ich von dem Anschlag in Halle erfuhr, stand mein Herz still. Ähnliche Vorfälle in Berlin konnte ich bisher verdrängen, doch Halle ist zu nah. Mir war bewusst, dass Stephan B. und all die anderen antisemitischen Terroristen und Mörder mich mitmeinen, wenn sie losgehen, um Juden abzuschlachten. Der jüdisch-österreichische Schriftsteller Jean Améry bezeichnete sich einst als „Katastrophenjuden“. Für ihn bedeutete das Jüdisch sein „ein Toter auf Urlaub zu sein, ein zu Ermordender, der nur durch Zufall noch nicht dort war, wohin er rechtens gehörte, und dabei ist es in vielen Varianten, in manchen Intensitätsgraden bis heute geblieben“. Jude zu sein bedeutete für ihn, „die Tragödie von gestern in sich lasten zu spüren“ und selbst wenn er weder Religion, Bräuche, Sprache, noch Kindheitserinnerungen mit dem Judentum teile, ist er angesichts des „Welturteils“ solidarisch mit allen anderen Juden weltweit. Ich halte dies für die angemessenste Antwort auf die Frage, was es bedeutet, heutzutage Jüdin in Deutschland zu sein. Der Staat Israel ist und bleibt die notwendige Bedingung dafür, nicht Urenkelin von Vergasten und Enkelin von Davongekommenen zu bleiben, sondern ein souveränes, von antisemitischer Bedrohung und einengenden Stereotypen unabhängiges Leben zu führen.
Weil die Sorgen und Ängste von Juden nichts wert sind und Politik sowie Gesellschaft untätig bleiben, ist und bleibt Israel die einzige Lebensversicherung, auch und vor allem für Juden in der Diaspora.